Versammlung älterer Menschen in DarmstadtDarmstädter Echo vom16. November 2021

Von Thomas Wolff

 Schieben, bitte!

Die Konflikte zwischen Fußgängern und Radlern nehmen zu, sagen ältere Bürger und fordern Fahrverbote

DARMSTADT. Eine Fußgängerzone nur für Fußgänger: Dafür will sich die Interessenvertretung für ältere Menschen in Darmstadt verstärkt einsetzen. Konflikte mit Rad- und Roller-Fahrern nehmen nach Beobachtung vieler Abgeordneter des Gremiums zu – besonders auf dem Luisenplatz. Die Vorsitzende Ursula Schwarz, 76, sagt: "Die Rücksichtslosigkeit nimmt zu", seit nach dem Ende des letzten Lockdowns wieder mehr Passanten durch die Einkaufsstraßen strömen. Was die Älteren fordern, das könne auch vielen anderen Bürgern nutzen, glaubt der Vorstand.

Mehr Berichte über Beinahe-Zusammenstöße, vor allem über Ängste beim Besuch in der Darmstädter City hören die Mitglieder des Gremiums als früher. Erstmals hat sich der Vorstand jetzt wieder nach der Corona-Pause getroffen; am 16. Dezember lädt er zur Vollversammlung ein. Die Beobachtung der alten Bürger: Durch Lastenräder und E-Scooter sind viele Fußgänger noch stärker verunsichert als zuvor. "Das betrifft auch Mütter mit Kinderwagen", sagt Schwarz, "ebenso behinderte Menschen". Sie sollen sich künftig sicherer fühlen - in der gesamten Fußgängerzone, sagen die Interessenvertreter. Das Thema „Verkehrssicherheit" haben sie deshalb zu einem ihrer vier Schwerpunkt-Themen gewählt.

Wie viele alte Menschen in die polizeilich gemeldeten Unfälle auf dem Luisenplatz und in den angrenzenden Einkaufsstraßen verwickelt sind, wird statistisch nicht erhoben. Der letzte erfasste Unfall mit Fußgänger- und Radfahrer-Beteiligung ist von 2019. Gerhard Barnickel, 70, sagt: "Es gibt auch viele individuelle Unfälle, die gar nicht gemeldet werden, bei denen die Fußgänger aber auch blaue Flecken und andere Verletzungen abbekommen."

Die Forderung des Alten-Gremiums: Man könnte das Radfahren in der Fußgängerzone ganz verbieten oder Schritttempo anordnen." Das müsste dann freilich von der Stadtpolizei stärker kontrolliert werden, "und zwar zu den richtigen Tageszeiten", sagt Barnickel. Die beim Ordnungsamt angesiedelte Stadtpolizei wird gerade aufgestockt, die 71 Stellen sollen bis zum Frühjahr besetzt sein. Doch deren Aufgaben sind vielfältig; unter anderem müssen die Ordnungskräfte die Einhaltung der Corona-Auflagen überprüfen.

Den Vorständlern wäre es denn auch arn liebsten; wenn auf dem Luisenplatz außer den Bussen und Bahnen gar nichts mehr fahren würde. In anderen deutschen Städten wie Göttingen oder Oldenburg habe man die Einkaufsstraßen nur für die Fußgänger freigegeben. Alle anderen müssten absteigen und schieben. Das täten in Darmstadt nur die wenigsten freiwillig. Bei einer Zählung habe ein Vorstandsmitglied in der Wilhelminenstraße in einer Stunde festgestellt: Ein Drittel bis die Hälfte der Radler steigen nicht ab. Müssen sie freilich bisher auch nicht, außer in besonders beschilderten Abschnitten der City.

Das wollen die Alten ändern. Am besten durch bauliche Veränderungen auf dem Luisenplatz. Da steht ihnen ein mächtiger Gegner gegenüber, wissen sie: der Denkmalschutz.

Der Platz hat schließlich eine historische Prägung. Auch das neue Pflaster steht unter besonderem Schutz. Das war bisher eines der Argumente gegen Markierungen, die den Verkehr regeln oder mehr Sicherheit für bestimmte Verkehrsteilnehmer geben könnten. Ebenso lassen sich höherliegende Bahnsteige nicht machen, so bleibe das Ein- und Aussteigen am zentralen ÖPNV-Knoten der Stadt "nicht altersgerecht und barrierefrei", sagt Barnickel. Für ihn gibt es hier einen ein Widerspruch zwischen Denkmalpflege und Alltagstauglichkeit. "Der Denkmalschutz soll doch auch für die Menschen da sein?"

Solche Fragen würden die aktiven Alten auch gern im Stadtparlament stellen. Dürfen sie aber nicht: Rederecht haben sie nur in den Fachausschüssen. Davon, sagen Schwarz und Barnickel, wolle man jetzt mehr Gebrauch machen. Auch die Parteien wollen die Vorständler direkt ansprechen und auf die Probleme und Lösungsansätze der Interessenvertretung aufmerksam machen. Die Polizei Südhessen wollen sie ansprechen. Beim Präventionsrat der Kommune reden sie ohnedies schon mit. Barnickel ahnt: "Allein können wir das nicht durchbringen." So suchen die älteren Darmstädter jetzt mehr Verbündete.

Es ist nicht das einzige Thema, das ihnen unter den Nägeln brennt. Weitere Fragen: Wie kann die Digitalisierung so gestaltet werden, dass sie auch den alten Menschen nützt? Wie können sie so lange wie möglich in ihren vertrauten Quartieren leben statt in ein Heim zu wechseln? Und was lässt sich gegen Gewalt in der Pflege tun?